Persönlicher Kommentar
Coronaler Digitalisierungswahn
WLAN statt Milan?
Was schätzen Sie, wie viele Kinder können heute den Milan, einen der beeindruckendsten Raubvögel mit seinem so typisch gegabelten Schwanz erkennen? Es dürften wahrscheinlich ähnlich viele sein, wie diejenigen, die das W-LAN Zeichen heute nicht erkennen. Während die Förderung von Bildung und Digitalisierung aber an allen Orten gefordert wird, der Schulsenator sich mit der Einrichtung von W-LAN in allen Klassenzimmern rühmt, erscheint die wachsende Entfremdung vieler Kinder von den Zusammenhängen der Natur und das Fehlen des Lernens am anderen Ort für die Kinder kaum jemanden zu stören. Gerade jetzt hätten wir dafür aber eine große Chance!
Klimaschutz ist zum Glück und auch berechtigt endlich wieder großes Thema, aber wie kommen wir und die nachwachsende Generation zu einer Haltung der Wertschätzung gegenüber unserer Natur? Vor allem darüber, indem wir sie kennen- und schätzen lernen. Mit der wachsenden Verschiebung unseres Lebens in die Großstädte gibt es immer weniger Alltagserfahrungen von Kindern mit der Umwelt. Umso stärker müssen wir das Umweltlernen und die Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) als fundamentales Element in der Bildung verankern.
Im Zuge der Coronapandemie wird über Digitalisierung, Videounterricht, Klassenteilungen, der Ausfall von viel Unterricht und das fehlende Miteinander der Kinder besprochen. Das Lernen in der Natur, die vielen fehlenden Ausflüge und Exkursionen zu Themen des Alltags und der Natur, die sonst vergessen werden, scheinen kaum eine Rolle zu spielen. Dabei ist das unverzichtbar. Nachdem die Kinder ein halbes Jahr den ganzen Tag am Bildschirm gelernt haben, geht es gefühlt vor allem darum, wie jetzt noch mehr Bildschirme in die Schulen kommen. Das ist absurd. Bildung ist zuerst Beziehung – zu Personen, wie auch zu Dingen. So sehen wir das als ÖDP es im Grundsatzprogramm. Für Bindungsentwickling braucht es reale und unmittelbare Begegnungen und Erlebnisse. Die fehlen vielen Kindern seit bald eineinhalb Jahren. Gerade Eltern erleben dies jeden Tag.
Wo bleiben hier die naheliegenden Vorschläge, den Unterricht einfach mal ins Freie zu verlegen? Wenn wir schon drinnen nicht so gut lernen können, dann lasst uns doch das Klassenzimmer nach draußen bringen und die Pandemie auch als Chance für das Lernen begreifen! Nie war es so naheliegend, die Artenvielfalt in der Stadt und um die Schulen herum intensiv zu erkunden. Drei Biertischgarnituren und passende Gartenpavillons, fertig ist das regentaugliche Klassenzimmer für den Pausenhof. Und da alles, was um die Tische herum raschelt, krabbelt oder fliegt, meistens besonders interessant ist, machen wir genau das zum Thema.
Als Klassenlehrer habe ich meiner Klasse im Homeschooling täglich eine Frischluftaufgabe gestellt, wo die Schüler besonders gern die Aufgaben zum Thema Natur gemacht haben. Daran können wir anknüpfen. Die Kinder interessiert es. Wenn dann vielleicht noch über das neue WLAN die Einordnung der eigenen Beobachtungen in der Natur einfacher geht, dann kann die Digitalisierung sogar auch für das Umweltlernen helfen und dann klappt es vielleicht auch bald wieder mit dem Erkennen von Vögeln.
Benjamin Krohn, Lehrer an einer Stadtteilschule,
2. Vorsitzender der ÖDP Hamburg
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